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Einer von Vielen…
Das Sterben meines Vaters David Eisenlöffel, * 18.10.1899 in Beschka, + im März 1946 in Mitrovica.

„Ich war deutscher Soldat und bin im Juni 1945 von Berlin nach Jugoslawien gekommen in der Hoffnung, dass alle donauschwäbischen Landsleute wieder in ihre Heimat zurückkehren dürften. Statt in Beschka landete ich in einem von den Tito-Partisanen eingerichteten Zwangsarbeitslager in Sremska Mitrovica. Männer und Frauen waren getrennt in der ehemaligen Seidenfabrik (Svilara) zusammengepfercht und wurden von Partisanen bewacht. Nach einigen Tagen traf ich in diesem Lager einen Landsmann Adam Schmuck aus Indjija, den ich bereits während eines Militäreinsatzes in Bosnien 1942 kennen gelernt hatte. Er war mit einem Spähtrupp unterwegs und wurde damals von den Partisanen gefangen genommen. Um zu überleben schloss er sich ihnen an und kämpfte mit ihnen gegen die deutschen Truppen. Nach dem Zusammenbruch 1944 durfte er – in der Uniform der Partisanen - in seinen Heimatort Indjija gehen, um sein Eigentum in Besitz zu nehmen. Als er seinen Namen „Schmuck“ nannte, nahmen sie ihn – trotz seiner Partisanenpapiere – und verprügelten ihn furchtbar. (Er hieß nämlich so, wie der seinerzeit in Indjija amtierende Nazi-Kreisleiter) und steckten ihn ebenfalls ins Lager Mitrovica. Er behielt dort allerdings seine Partisanen-Uniform an (weil er keine andere Kleidung hatte) und genoss bestimmte Privilegien. So wurde er einem „Arbeitskommando“ zugeteilt, das außerhalb des Lagers in der Stadt arbeiten musste.
Schmuck erzählte mir, dass in seiner Arbeitsgruppe ein Landsmann aus Beschka wäre, ein Schlosser. 

Er führte mich zu ihm, aber ich erkannte ihn nicht. Es war David Eisenlöffel. Er war relativ gut gekleidet, sah aber sehr blass aus und wirkte deprimiert. Er erzählte mir, dass er in Semlin das Wasserwerk (oder ein Pumphaus?) auf dem Luftwaffen-Fliegerhorst unter sich hatte und deshalb im Oktober 1944 nicht mit seiner Familie flüchten konnte. Die Offiziere hatten ihm versprochen, ihn ganz bestimmt mitzunehmen, wenn sie den Fliegerhorst Semlin vor den Truppen der Roten Armee oder den Partisanen verlassen müssten. Aber sie kümmerten sich nicht mehr um ihn, so dass er den politischen Umschwung ganz alleine in seiner Wohnung in Semlin erlebt hat.

Diese wurden für die nicht geflüchteten Deutschen aber immer bedrohlicher. Es kam zu den berüchtigten AVNOJ-Beschlüssen vom 21. November 1944, die alle Deutschen – obwohl sie noch jugoslawische Staatsbürger waren – für rechtlos erklärten und ihr Vermögen konfiszierten. David Eisenlöffel musste sich auch bei der Polizei melden und kam in das als „Todeslager“ bezeichnete Lager auf dem Kalvarienberg in Semlin, in welchem mehrere Tausend donauschwäbische Männer, Frauen und Kinder durch Mordlust, Willkür und Hunger umgekommen sind. Das Lager wurde im Frühjahr 1945 aufgelöst. David hat es überlebt, musste aber mit den anderen Überlebenden einen beschwerlichen Fußmarsch von Semlin nach Mitrovica (ca. 120 km) durchstehen. Viele der Gefangenen sind auf diesem Gewaltmarsch erschöpft zusammengebrochen und wurden in den Straßengräben von den Partisanenwachen erschossen.
Jetzt war er also im Lager Mitrovica und arbeitete zwangsweise in seinem Beruf als Schlosser ohne einen Pfennig Entgelt (das bekam die Lagerleitung!). Der Arbeitstrupp wurde jeden Morgen unter Bewachung in die Stadt gebracht und kam abends ins Lager zurück. Ich habe mit David öfter gesprochen, habe ihn auch öfter rasiert, weil er zwar einen Rasierapparat aber keine Rasierklingen hatte. Von seiner geflüchteten Familie wusste er nichts, hoffte aber inständig, dass sie nicht auch zurückkommen würde, wie viele andere Donauschwaben, die voller verzweifelter Hoffnung nach Hause kamen und von den Partisanen in Internierungs- und Arbeitslager gesteckt wurden. (Zu dieser Zeit kam ein Transport von „Heimkehrern“, die nach Neu-Pasua wollten, geradewegs ins Lager nach Mitrovica. Und viele von ihnen starben).
„Die bringen uns noch alle um, fast lauter unschuldige Menschen“ sagte David zu mir. Er wirkte niedergeschlagen und machte auf mich den Eindruck, dass er sich selbst schon aufgegeben hatte. Ich kam dann in ein Arbeitskommando, das mit der Inventarisierung der Häuser und Höfe der Deutschen beschäftigt wurde und habe ihn eine Zeitlang nicht mehr gesehen. Das Sterben ging leider täglich weiter. Wer in der Nacht gestorben war, wurde in der Frühe herausgetragen. Gegen 9 Uhr kam dann das „Bestattungskommando“ – es waren Männer aus dem Lager – und sammelten die Leichen auf einem circa 1,5 Meter hohen Wagen, der hinten offen war. Sie schoben die Toten durch die Stadt und ein „Totenkommando“ – ebenfalls Lagerinsassen - verscharrten sie in einem Massengrab neben einem Friedhof.
Der Landsmann Adam Schmuck, der immer noch Privilegien genoss, hatte David noch öfter gesehen. Ich fragte ihn, wie es meinem Landsmann David ginge, und er meinte, dass er immer noch als Schlosser arbeite und gute Kollegen habe, die ihm öfter etwas zum Essen bringen. Aber er interessierte sich für gar nichts mehr, hatte keinen Gesprächsstoff und wirkte niedergeschlagen. Einmal auf dem Fußmarsch in die Stadt habe er ihn zum letzten Mal gesehen. Er habe nur mit der Hand gewinkt und wirkte entkräftet und kaputt.
Weder ich noch Schmuck können sagen, wann David in Mitrovica gestorben ist. Aber es muss in der Zeit zwischen Januar und März 1946 gewesen sein. Denn danach kam ich mit einem Ungarn in Verbindung, der mir sagte, wie man gegen Bezahlung eines Betrages über die Grenze kommen konnte. Mein Arbeitstrupp musste damals herrenlose Kühe aus Franztal (bei Semlin) holen. Eines der Tiere konnte nicht mehr laufen. Der Partisan riet uns, ins nächste Dorf zu gehen und zu fragen, ob jemand diese Kuh kaufen (und schlachten) wolle. Das geschah tatsächlich. Der Partisan gab mir von dem Erlös 500 Dinar. Das war genau der Betrag, den man für einen Schleuser nach Ungarn bezahlen musste.
Ich konnte mir unter dem Vorwand, in einer gemischten Ehe (mit einer Serbin) zu leben, Entlassungspapiere erschwindeln und bald danach aus dem Lager nach Ungarn und von dort über Österreich nach Deutschland flüchten. Ich hatte das Glück. Aber etwa 2000 Deutsche sind in Mitrovica umgekommen. Das Lager wurde 1948 aufgelöst und die Verhältnisse waren allmählich so, dass es leichter geworden war, aus den insgesamt sechs oder sieben Zwangsarbeitslagern in Jugoslawien nach Ungarn oder Österreich zu flüchten. Leider wurden deutsche Männer und Frauen nicht nur in die Vernichtungslager sondern auch zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. Tausende haben das nicht überlebt.
David Eisenlöffel ist als Opfer dieses Genozides in Band IV, Seite 817 namentlich genannt. Er war keine Kämpfernatur und hatte sich wohl in sein Schicksal gefügt, dass er seine Familie nicht mehr sehen und einsam sterben würde." Ende des Berichtes von Jakob Weiß.
Im Jahr 2004 bekam ich mit meiner Frau Ursula Kontakt zu dem serbischen Ingenieur Jovica Stevic aus Mitrovica. Dieser engagiert sich außerordentlich für die Aufarbeitung der unmenschlichen Gräuel, die an den Deutschen im ehemaligen Jugoslawien begangen worden sind. Sie wurden von den Serben total verdrängt und gegenüber der Öffentlichkeit nie zugegeben.
Jovica führte uns zur ehemaligen Seidenfabrik (Svilara) in Mitrovica, die als Internierungslager für Deutsche aus ganz Syrmien (Gebiet zwischen Donau und Sawe, von Belgrad im Osten und Novi Sad im Westen) umfunktioniert worden war. Die Toten wurden hauptsächlich in einem Massengrab direkt neben der Seidenfabrik verscharrt. Das Gelände ist von Gras und Gestrüpp überwuchert. Dicht daneben ist der Fußballplatz des Mitrovicer Clubs „Hajduk“. Die Bevölkerung wusste bis zu dieser Zeit nichts mehr von dem Massengrab, in welchem schätzungsweise 1500 donauschwäbische Männer, Frauen und Kinder verscharrt worden sind.
Als das Massensterben nach außen ruchbar wurde, hat die Lagerleitung die umgebrachten Deutschen - um „humaner“ zu wirken - neben dem jüdischern Friedhof in einem kleineren Massengrab verscharrt, dessen umrisshafter Hügel noch deutlich zu sehen ist (2009).
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Als auch das nicht mehr geheim geblieben war, benutzten die Partisanen den katholischen Friedhof in Mitrovica für die Beerdigung ihrer Opfer. Dort gibt es sogar einige Einzelgräber von umgekommenen Deutschen. Die Inschriften besagen, dass die Gräber 1946 angelegt worden sind. Im Bereich eines alten großen Holzkreuzes auf diesem katholischen Friedhof wurden die Toten aus dem „Arbeitslager“ anscheinend aber auch in größerer Zahl in „Großgräbern“ bestattet.
Nach den Angaben des Augenzeugen Jakob Weiß dürfte David Eisenlöffel zwischen Januar und März 1946 gestorben und sehr wahrscheinlich auf dem katholischen Friedhof begraben worden sein. Diese Vermutung ist leider nicht nachprüfbar.