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Die Flucht

Seit Stalingrad war es jedem klar, dass der Krieg verloren war. Man sprach aber nicht darüber, weil eine solche Äußerung als Wehrkraftzersetzung mit Tod bestraft werden konnte. Als am 23. August 1944 die verbündeten Rumänen einen Waffenstillstand mit den Russen schlossen, war ich mit drei anderen Beschkaern auf einem militärischen Lehrgang in Essegg. Es war uns allen klar, dass eine Flucht die einzige Rettung für die Frauen und Kinder war. Anfang September wurden wir entlassen.
An den Schulbeginn dachte niemand mehr, obwohl ich wie alljährlich im Herbst die Schulen weißeln ließ. Die Feldarbeit wurde nur noch von Optimisten bestellt. Immerhin wurde die Sonnenblumenernte vollzogen. Uniformen und Ausrüstung für die Kompanie wurden geliefert und in India empfangen. Nur die Panzerabwehrkanone, die wir erhalten sollten, wurde umdisponiert. Es folgte eine Schnellausbildung der Kompanie der 16- bis 50jährigen, die aus irgendeinem Grunde noch daheim waren.
Am 1. Oktober wurden alle Amtswalter nach India berufen, wo uns der Adjutant des Volksgruppenführers, Oberst Rührig, schonend auf die Flucht vorbereitete. Es hieß, dass vorerst die Darkowatzer und Paleschniker, die einige Monate vorher zu uns flüchteten, sich für die Flucht nach Deutschland vorbereiten sollten. In der Flüsterpropaganda wurde jedoch von einer allgemein notwendigen Flucht gesprochen. Aus psychologischen Gründen war das gut, denn es kam zu keiner Panik, im Gegenteil, man musste die Frauen davon überzeugen, dass ein Zuhausebleiben verheerende Folgen haben konnte.
Zunächst wurde von dem Bürgermeister angeordnet, dass jeder Bauernwagen mit zwei Pferden acht Seelen aufnehmen müsse. Am Donnerstag, dem 5. Oktober, wurden die Wagen mit dem Notwendigsten beladen. Am Freitag bot sich eine Fluchtmöglichkeit mit Eisenbahnlastwaggons. Ein Teil machte davon Gebrauch. Dieser Transport fuhr am Samstagmorgen weg und kam Mitte Oktober im Kreise Nikolsburg an. Es gab unterwegs bei Petröte, in der Nähe von Steinamanger, mehrere Tote - von den Beschkaern Else Klein (Reg.-Nr. 989 c) und Theobald Stehli (Reg.-Nr. 1887) -  zu beklagen. Else Klein bekam einen Bauchschuss und starb an der Stelle, Stehli wurde leicht verwundet und blieb zwecks Behandlung zurück. Seither ist er vermisst. Nachforschungen bei den Bürgermeistern und Ärzten wurden beantwortet, aber negativ. Vermutlich fiel er Partisanen in die Hände. Dieser Transport stand schon bei Dalj, in Syrmien, unter Partisanenbeschuss.
Am 9. Oktober wurden die Frauen und Kinder am Beschkaer Bahnhof in Eisenbahnwagen verladen und bis Thüringen gefahren. Am 10. Oktober fuhren die letzten mit 400 Bauernwagen bis Ruma, wo sie in Eisenbahnwagen verladen wurden. Auch dieser Transport wurde von Partisanen am Wege bis Ruma und später bedroht. Ein zehnjähriger Partisane wurde von einem Wehrmachtsangehörigen entwaffnet. Dieser Transport ging ins Egerland. Es kam bald danach zu Familienzusammenführungen, denn die zerrissenen Familienglieder fanden sich dank der Karteiführung in Wien, der Vermittlung der im Felde stehenden mit Feldpostnummer, und nicht zuletzt auch durch Befragung der Schicksalsgenossen, die man an der Mundart und Tracht leicht erkennen konnte.
Im Laufe der Kriegswirren kam es öfter zu Trennungen von Verwandten. Und wieder waren die Mundart und Trachten die sichersten Möglichkeiten, über Grenzen hinweg Nachrichten auszutauschen. Der Suchdienst des Roten Kreuzes wurde nur in verhältnismäßig wenig Fällen gebraucht. Spätere Generationen werden nicht verstehen, wie das möglich war - aber es ist so. Ich selbst fand auf diese Weise alle meine Geschwister nach der ersten Trennung binnen zwei Wochen, nach der letzten Trennung binnen zwölf Monaten. Mein Bruder fand seine beiden Kinder (fünf und elf Jahre alt) in etwa acht Monaten mit Hilfe des Roten Kreuzes.
Selbstverständlich gab es auch viel tragischere Fälle, und es ist heute noch möglich, dass sich Vermißte nach 26 Jahren wieder finden. Die lebhafteste Fantasie eines Dichters wurde oft durch wahre Geschichten übertroffen.
Als im April 1945 die Front immer näher kam, mussten die Beschkaer aus dem Kreise Nikolsburg noch einmal flüchten. Sie wurden nach der Waffenstreckung von den Russen eingeholt. Am 1. Juni bekamen wir die letzten Lebensmittelkarten und wurden aufgefordert, in die Heimat zu ziehen. Landsleute im Egerland waren noch schlechter dran. Sie wurden von den Tschechen ausgeplündert und vertrieben. Nur die in Thüringen durften bleiben. Von den Vertriebenen aus Österreich und Egerland kamen viele nach Jugoslawien. Sie wurden ausgeplündert und in die Vernichtungslager gesteckt. Etliche davon wurden nach Ungarn abgeschoben, manchen gelang die Flucht nach Ungarn. Mich warnte ein bunjewatzischer (Kroate in Ungarn) Nazarener, die Grenze nach Jugoslawien nicht zu überschreiten. Ein russischer GPU-Hauptmann sagte mir auch, dass es nicht gut sei, nach Jugoslawien zu fahren...
Allmählich sind alle Beschkaer aus Ungarn in die Bundesrepublik gekommen. Die in Jugoslawien überlebten, kamen auch in die Bundesrepublik, allerdings viel später. Viele blieben in Österreich, denn nicht in allen Kreisen mussten sie nach der Waffenstreckung Österreich verlassen. Landsleute, die in Österreich verblieben, durften vielfach ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Erst als die Besatzungsmächte eingriffen, hat sich ihre Lage etwas gebessert. Gehungert wurde überall. Erst nach der Währungsreform im Jahre 1948 konnte man sich wieder satt essen. Wir sind dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten Hoover zu Dank verpflichtet, der in der Bundesrepublik die Schülerspeisung aus amerikanischen Beständen einführte und damit zur Rettung der Kinder viel beitrug.
In den jugoslawischen Vernichtungslagern wurde es nach Jahren auch besser. Dort haben vermutlich die deutsch-amerikanischen Wähler gerettet, was noch zu retten war.
Zur Gerechtigkeit sei noch gesagt, dass viele rechtschaffene Serben den Deutschen heimlich mit Lebensmitteln geholfen haben. Trotzdem sind von den 250.000 Deutschen, die in Jugoslawien verblieben oder zurückkehrten, gegen 150.000 verhungert, oder aber wurden sie erschlagen. Die Beschkaer Serben haben den Beschkaer Deutschen, die in jugoslawische Gefangenschaft gerieten, mit Lebensmitteln geholfen. Einer, der noch zehn Jahre in Beschka blieb, schreibt, dass er von den Neubürgern in Beschka viel zu leiden hatte, während die Alteingesessenen gut zu ihm waren. (Peter Lang)
 

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